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Die Aborigines
Die Traditionen der Aborigines weisen darauf hin, dass sie seit jeher in
Australien gelebt haben. Anthropologen vermuten jedoch, dass sie aus Asien
auswanderten und schließlich vor etwa 60 000 bis 40 000 Jahren nach
Australien kamen. Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, dass der
Meeresspiegel zu dieser Zeit verhältnismäßig niedrig war und dadurch
zwischen dem asiatischen und dem australischen Kontinent eine nahezu
durchgehende Landbrücke bestand. Infolge eines Meeresspiegelanstiegs wurde
dieser verhältnismäßig einfache Verbindungsweg später überflutet. Tasmanien
wurde vor etwa 13 500 bis 8 000 Jahren ebenfalls durch die Anhebung des
Meeresspiegels vom australischen Festland getrennt. Die hier beheimateten
Aborigines erfuhren infolgedessen eine andere kulturelle Entwicklung als die
Bewohner auf dem australischen Festland.
Bei diesen ersten Australiern handelte es sich um nomadisierende Sammler und
Jäger, die dank ihrer genauen Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten,
Vorkommen, Eigenschaften und Merkmale der australischen Vegetation und
Tierwelt sowie der herrschenden Klimabedingungen überleben konnten. Die
Aborigines setzten Feuer als Mittel ein, den Wuchs derjenigen Gräser zu
fördern, die von Kängurus und anderen Jagdtieren bevorzugt werden. Außerdem
gibt es Hinweise darauf, dass sie systematisch ernteten und Pflanzensamen
säten, um die Entwicklung von Grasland zu beschleunigen, und dass sie
außerdem Dämme errichteten und Flüsse, Sümpfe und Seebuchten veränderten, um
durch Wasserumleitungen Fischgründe leichter zugänglich zu machen.
In technischer Hinsicht war ihr Leben einfach. Die wichtigsten
Gebrauchswerkzeuge waren Speere und Blasrohre, Bumerangs , Nadeln, Spulen,
Holzschüsseln, Wasserblasen aus Tierhäuten, geflochtene Matten und Taschen
aus Gräsern. Es wurden außerdem Kanus und Flöße aus Rinde und so genannte
Einbäume verwendet, die aus einzelnen ausgehöhlten Holzstämmen angefertigt
wurden und gelegentlich mit Segeln aus geflochtenen Gräsern versehen wurden.
Die Arbeitsteilung erfolgte nach Geschlecht: Männer und ältere männliche
Jugendliche jagten große Tiere, Frauen sammelten essbare Früchte und
Pflanzenteile und gingen auch auf die Jagd nach Kleintieren. Trotz dieser
Aufteilung machten es die Lebensbedingungen erforderlich, dass alle
Erwachsenen alle Fähigkeiten besaßen, um ihr Überleben zu sichern.
Im Kontrast zu der relativ unkomplizierten Struktur des wirtschaftlichen
Lebens und der Technik entwickelten die australischen Aborigines eine
komplexe Sozialstruktur und eines der umfangreichsten Glaubensgefüge, das
sämtliche Lebensbereiche mit einbezog. Ihre Weltauffassung drehte sich um
die Traumzeit, ein kompliziertes und allumfassendes Konzept, das
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichermaßen einbezieht und ebenfalls
die Zeit der Erschaffung zum Anbeginn der Zeit umfasst, während der
mythische Wesen das Land formten, es mit Tieren, Menschen und Pflanzen
besiedelten und dem sozialen Zusammenleben eine erste Form verliehen.
Die Grundwerte der Aborigines beinhalteten Selbstlosigkeit und die
pflichtbewusste Erfüllung sozialer und religiöser Verpflichtungen. Status
war von Besitztum unabhängig, das nur wegen seiner besonderen religiösen
Bedeutung geschätzt oder aufgrund seiner praktischen Nutzungsfähigkeit
bedeutungsvoll war. Der Handel spielte eine bedeutende Rolle, und der ganze
Kontinent war von einem Netzwerk von Handelsrouten überzogen. Die
Handelsgüter waren häufig sehr seltene Objekte oder besaßen eine überragende
soziale oder religiöse Bedeutung, deren Funktion aus der Aufrechterhaltung
und Förderung der Bindungen und Harmonie zu anderen Gruppen bestand.
Als 1788 die erste europäische Siedlung entstand, hatten die Aborigines
schon lange Zeit den gesamten Kontinent bevölkert und genutzt, indem sie
sich an die unterschiedlichen geographischen und klimatischen Gegebenheiten
von tropischen Regenwäldern über niederschlagsreiche gemäßigte Landstriche
bis zu den trockenen Wüsten angepasst hatten. Es wird angenommen, dass die
Bevölkerungzahl der Aborigines zu dieser Zeit zwischen 300 000 und einer
Million Menschen lag und es über 200 verschiedene Sprachen gab. Die Zahl der
größten, deutlich ausgeprägten Bevölkerungsgruppen belief sich auf ungefähr
50, die in ihren jeweiligen Gebieten lebten und nach der von ihnen
gesprochenen Sprache benannt wurden. Europäer bezeichneten sie häufig als
"Stämme", aber obwohl sie kulturelle Gemeinsamkeiten aufwiesen, stellten sie
keine eigenständigen wirtschaftlichen oder politischen Einheiten dar.
Darüber hinaus gab es auch kein nationales Identitätsbewusstsein, sondern
eher ein Eigenbewusstsein, das sich in den familiären und örtlichen
Beziehungen und Gruppierungen begründete.
Die Ankunft der Europäer entwickelte sich für die Aborigines zu einer
Katastrophe. Die Kommunikation zwischen den beiden Gruppen war minimal, und
die Kluft zwischen den unterschiedlichen Kulturen hätte kaum größer sein
können. Nach einer anfänglichen Zeit des gespannten Nebeneinanders wurden
die Aborigines schon bald von den fruchtbareren Küstenlandstrichen
vertrieben und ins Landesinnere abgedrängt. Versuchtem Widerstand wurde mit
Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ruhe durch Gewalt begegnet, die den Tod
von einer großen Anzahl von Aborigines zur Folge hatten. Noch mehr starben
jedoch infolge von Krankheiten, die die Siedler ins Land eingeschleppt
hatten. In Tasmanien und im Südosten Australiens verschwand die
Urbevölkerung nahezu vollständig, in allen Teilen des Kontinents kam es im
ersten Jahrhundert nach der Besiedlung durch Weiße zu einem dramatischen
Bevölkerungsrückgang. Aborigines, die diese extreme Entwicklung überstanden,
wurden häufig zu Opfern brutaler Misshandlung oder so genannten
Zivilisierungsversuchen durch Missionare unterworfen. Mitte des 19.
Jahrhunderts nahm man allgemein an, dass die Aborigines als Kultur und
vielleicht auch als eigenständige Rasse schnell verschwinden würden. 1920
belief sich die Zahl der Aborigines auf nur noch rund 60 000 Menschen.
Bis zu den sechziger Jahren lebte die verbleibende Urbevölkerung vorwiegend
in ländlichen Gegenden. In den beiden darauf folgenden Jahrzehnten
übersiedelten jedoch immer mehr von ihnen in die Stadtgebiete, wobei die
Hauptstädte der Bundesstaaten und die größeren Provinzstädte besonders
starken Zustrom erhielten. Die Zugezogenen wurden von der europäischen
Mehrheit häufig misstrauisch empfangen und schlossen sich oft zu kleinen,
äußerst unbeständigen und ghettoartigen Gemeinschaften zusammen. Sie dienten
dem zunehmenden politischen Bewusstsein als Nährboden, das in den sechziger
Jahren innerhalb der Bevölkerungsminderheit der Aborigines entstanden war.
Zu dieser Zeit waren das soziale Ansehen und die politische Bedeutung der
Aborigines so gering, dass man sie bis 1971 noch nicht einmal in den
Volkszensus mit einschloss, und ein Referendum 1967 ermächtigte die
australische Staatsregierung erstmals, politische Entscheidungen für
Aborigines zu treffen. Die anfängliche Besorgnis hinsichtlich der
Lohngleichheit und zivilrechtlichen Gleichstellung wich schon bald einer
rechtlichen Inanspruchnahme von Land mit besonderer kultureller und
religiöser Bedeutung.
Bei der Volkszählung von 1991 wurden 238 492 Aborigines und 26 902
Torres-Straße-Insulaner gezählt, die häufig einfach in die ethnische Gruppe
der Aborigines eingeordnet und nicht als eigenständige Gruppe betrachtet
werden. Dieser beeindruckende Anstieg im Vergleich zu den Zahlen aus den
zwanziger Jahren ist nur teilweise das Ergebnis von höheren Geburtenraten;
er ist auch auf die Wiederentdeckung der eigenen Identität zurückzuführen.
Nur bei einer kleinen Minderheit der als Aborigines erfassten
Bevölkerungsgruppe handelte es sich um reine Aborigines.
Die größte Konzentration von Nachfahren der Aborigines lebt heute in New
South Wales und Queensland (jeweils 26 Prozent der australischen
Gesamtbevölkerung der Aborigines), Western Australia (15,7 Prozent) und im
Northern Territory (15 Prozent). Über 70 Prozent wohnen in Städten. Die
traditionelle Lebensweise der australischen Ureinwohner ist ungeachtet der
Tatsache, dass es zu einem Anstieg des Interesses an dem komplexen
Lebenskonzept der Aborigines gekommen ist und mittlerweile auch in Schulen
über die Kultur der Aborigines gelehrt wird, stark bedroht. In den neunziger
Jahren schätzte man die Zahl der zur Bevölkerungsgruppe der Aborigines
gehörenden Menschen, die mit der traditionellen Lebensweise ihrer Kultur
direkten Kontakt haben, auf nur noch ungefähr 10 000. Diese Kultur herrscht
vor allem noch im Northern Territory vor.
Jede Region Australiens wird durch einen eigenen Landrat der Aborigines
vertreten, und in den meisten Regionen gibt es Zentren und Festivals, die
diese besondere Kultur würdigen. Die ethnische Identität der Aborigines
drückt sich mittlerweile auf unterschiedliche Art und Weise in Kunst,
Popmusik, Literatur, Politik und Sport aus. Die ethnische Gruppe
derAborigines konnte sich mehrmals bei Fragen um Landrechte juristisch
durchsetzen. Aborigines konnten sich das Eigentumsrecht über ausgedehnte
Landstriche im Norden und im zentralen Bereich Australiens sichern.
Gleichzeitig sind sie jedoch immer noch mit beträchtlichen sozialen und
wirtschaftlichen Nachteilen konfrontiert. Ihre durchschnittliche
Lebenserwartung ist wesentlich geringer, als die der restlichen Bevölkerung.
Probleme wie Arbeitslosigkeit, niedrige Familieneinkommen, die Abhängigkeit
von Sozialleistungen und die hohen Kindersterblichkeitsraten sind sehr viel
ausgeprägter und akuter als in der Gesamtbevölkerung, obwohl in den
vergangenen Jahren Unterstützungsmaßnahmen getroffen wurden und man die
Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen sowie die Gesundheitsvorsorge durch
zusätzliche Zahlungen gefördert hat. |
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